Daten als strategischer Kompass

"Wer Daten nur sammelt, ohne sie strategisch zu nutzen, gleicht einem Segler, der zwar einen Kompass besitzt, aber nicht weiß, wie man ihn liest."
Als ich letzte Woche im mit dem Digitalchef eines Medienunternehmens zusammensaß, fiel ein Satz, der mir im Gedächtnis blieb: "Ehrlich gesagt, Michael, wir haben tonnenweise Daten – aber manchmal fühlt es sich an, als würden wir im Dunkeln tappen, wenn es um die wirklich wichtigen Entscheidungen geht."
Dieser Moment hat mich an zahlreiche ähnliche Gespräche erinnert, die ich in den letzten Jahren mit Medienschaffenden in der DACH Region geführt habe. Sie alle stehen vor der gleichen Herausforderung: In einer Zeit, in der buchstäblich alles messbar ist – vom ersten Klick bis zum Abo-Abschluss – gilt es, aus dem Datenmeer die wirklich wertvollen Perlen zu fischen.
Die Daten-Herausforderungen im Redaktionsalltag
In meinen Jahren Beratungserfahrung mit vielen Medienhäusern habe ich immer wieder ähnliche Herausforderungen erlebt:
Da ist zum Beispiel das Dilemma der Datenflut. Ein mittelgroßer Verlag hatte massiv in Tracking-Technologie investiert. "Wir tracken jetzt einfach alles", sagte der stolze Geschäftsführer. Als ich nachfragte, welche drei Fragen sie damit vorrangig beantworten wollten, entstand eine nachdenkliche Pause. Die Technologie war da – aber die strategische Einbettung fehlte noch. Aber schon ein guter Anfang.
Oder nehmen wir die Kennzahlen-Symphonie, wie ich sie gerne nenne. Bei einer Wirtschaftszeitung (die übrigens fantastischen Kaffee serviert!) präsentierte mir das Team ein beeindruckendes Dashboard. "Wow", dachte ich, "da steckt viel Arbeit drin." Und tatsächlich – das Team hatte Unglaubliches geleistet! Aber: Als ich fragte, welche dieser vielen Metriken tatsächlich strategische Entscheidungen beeinflusst hatten, wurden die Antworten vage. Unser gemeinsames Learning: Mehr Daten bedeuten nicht automatisch bessere Entscheidungen.
Nicht zu vergessen die Abteilungs-Datenwelten. Bei einem Workshop in Süddeutschland trafen Redaktion, Marketing und Vertrieb aufeinander. Jede Abteilung hatte ihre eigenen Daten-Dashboards/-Reports mitgebracht. Alle waren beeindruckend – nur sprachen sie komplett unterschiedliche Sprachen. Was für ein Aha-Moment, als wir die Daten erstmals übereinander legten! "Das hätten wir schon vor Jahren machen sollen", meinte eine Teilnehmerin. Zum Beispiel das Verständnis zu “Wer ist ein Abonnent” war im gleichen Unternehmen unterschiedlich und wurde auch unterschiedlich incentiviert.
Die Verbindung zwischen Datenstrategie und Unternehmensstrategie
In meiner Beratungspraxis beobachte ich immer wieder, dass viele Medienunternehmen Schwierigkeiten haben, ihre Datenanalysen effektiv in strategische Entscheidungsprozesse zu integrieren. Das ist eine der zentralen Herausforderungen der Branche, auch wenn hierzu keine spezifischen quantitativen Erhebungen vorliegen.
Ich erinnere mich an ein Medienprojekt in Süddeutschland im letzten Sommer (33 Grad im Schatten, und natürlich ohne Klimaanlage...). Der Geschäftsführer hatte eine beeindruckende Vision für die digitale Zukunft. Die Datenanalysten hatten brillante Auswertungen. Aber irgendwie fanden beide nicht zusammen. Die Datenanalysen beantworteten nicht die strategischen Fragen der Geschäftsführung, und die Geschäftsführung wusste nicht, welche Fragen sie den Datenanalysten stellen sollte.
Einige Quellen dazu: https://reutersinstitute.politics.ox.ac.uk/digital-news-report/2023/dnr-executive-summary und https://leibniz-hbi.de/hbi-publications/reuters-institute-digital-news-report-2023/
Diese Entkopplung hat ganz praktische Folgen:
Budget-Frust: Ein Verlag aus dem Rheinland investierte – naja, sagen wir "erheblich" – in eine Dateninfrastruktur. Ein Jahr später war die Ernüchterung groß. "Irgendwie haben wir gehofft, dass die Zahlen von selbst sprechen würden", gestand mir der CFO. Kein Wunder, dass der ROI ausblieb!
Bauchgefühl bleibt König: In einem Meeting zur Entwicklung eines neuen Digitalangebots beobachtete ich, wie trotz umfangreicher Nutzerdaten die Entscheidung letztlich vom Bauchgefühl des Chefredakteurs abhing. "Die Zahlen sind schön und gut, aber ich spüre einfach, dass unsere Leser etwas anderes wollen." Da war er wieder, der alte Konflikt zwischen Daten und Intuition.
Die Erfolgs-Nebelwand: Bei einem Digitalprojekt in Berlin-Mitte fragte ich nach dem Erfolg der Datenanalysen. Schulterzucken. "Wir wissen, dass wir viel messen – aber ob's wirklich was bringt?" Diese Unsicherheit ist typisch, wenn die Verbindung zur Unternehmensstrategie fehlt.
Viel zu jonglieren: Diverse Geschäftsmodelle unter einem Dach
Eine besondere Herausforderung, die ich immer wieder sehe: Die meisten Medienhäuser sind heute Multitalente mit verschiedenen Einnahmequellen:
- Da ist das klassische Printgeschäft, das bei vielen regionalen Häusern immer noch 60-70% der Einnahmen bringt (laut BDZV-Erhebung 2023)
- Daneben die digitalen Angebote – von Freemium bis zur konsequenten Paywall
- E-Commerce-Angebote und Affiliate-Programme
- Content-Marketing und Corporate Publishing
Jeder Bereich hat eigene KPIs, eigene Systeme, eigene Datenlogiken. Kein Wunder, dass die Integration manchmal wie ein Puzzle mit 1000 Teilen wirkt!
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Ein Phänomen, das mich immer wieder zum Schmunzeln bringt: die unterschiedlichen Datenwelten von Redaktion und kommerziellen Bereichen.
Bei einem Workshop in Frankfurt saßen Chefredakteur und Vertriebsleiterin nebeneinander. Der Chefredakteur schwärmte von einer investigativen Serie, die monatelange Recherche erfordert hatte – journalistisch wertvoll, gesellschaftlich relevant. Die Vertriebsleiterin hörte höflich zu und zeigte dann ihre Conversion-Daten: Die meisten Abos kamen durch... Sport, Gossip, Rezepte und Gartentipps.
Diese Szene hat sich in ähnlicher Form dutzende Male wiederholt. Und immer wieder sehe ich, wie wertvoll es ist, wenn beide Welten zusammenfinden und gemeinsam überlegen: Wie können wir journalistische Qualität UND wirtschaftlichen Erfolg sichern?

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Was funktioniert: Praktische Ansätze aus unserer Beratungspraxis
Aus unseren Projekten mit Verlagen und Medienhäusern quer durch die DACH Region haben sich drei Ansätze herauskristallisiert, die wirklich funktionieren:
1. Entwicklung einer ganzheitlichen Datenstrategie
Bei einem Regionalverlag moderierten wir letzten Herbst einen zweitägigen Workshop. Statt mit komplexen Datenmodellen begannen wir mit einer einfachen Frage: "Was sind eure drei wichtigsten strategischen Ziele für die nächsten 12 Monate?"
Von diesen Zielen ausgehend entwickelten wir rückwärts eine Datenstrategie:
- Welche Daten brauchen wir wirklich?
- Welche Metriken zeigen uns, ob wir auf dem richtigen Weg sind?
- Wer braucht welche Daten wann für welche Entscheidungen?
Das Ergebnis war verblüffend: Die Liste der benötigten Daten schrumpfte, während ihre Relevanz stieg. "Zum ersten Mal verstehe ich, warum wir diese Zahlen erheben", meinte eine Redakteurin.
2. Der "Single Point of Truth" – Mehr als nur ein technisches Projekt
Ein Zeitschriftenverlag hatte ein massives Datenproblem: Jede Abteilung arbeitete mit eigenen Zahlen, die sich oft widersprachen. Die Lösung? Ein Data-Warehouse-Projekt – aber mit einer Besonderheit: Wir starteten mit einem "Daten-Wörterbuch".
In teils hitzigen Diskussionen definierten wir gemeinsam Begriffe wie zum Beispiel:
- Was genau ist ein "aktiver Nutzer"?
- Ab wann gilt ein Besucher als "wiederkehrend"?
- Wie definieren wir "Engagement"?
Dieser Prozess war oft mühsam, aber er zahlte sich mittelfristig bereits aus: Zum ersten Mal sprachen alle Abteilungen dieselbe Sprache.
3. Data-Champions als Brückenbauer
Bei einer weiteren Mediengruppe führten wir ein Konzept ein, das ich besonders liebe: Data-Champions.
In jeder Abteilung – von der Politik-Redaktion bis zum Vertrieb – identifizierten wir eine Person, die Interesse an Daten hatte (aber kein Experte sein musste!). Diese Champions erhielten eine zwei- bis dreitägige Grundausbildung in Datenanalyse und wurden zur Schnittstelle zwischen ihrer Abteilung und dem zentralen Datenteam.
Der Clou: Die Champions blieben in ihren Fachabteilungen, verstanden deren Alltag und Bedürfnisse, konnten aber gleichzeitig die Sprache der Datenexperten sprechen. Sie wurden zu echten Übersetzern und Multiplikatoren.
Ein Jahr später war die Veränderung spürbar: Statt Skepsis gegenüber Daten herrschte Neugier. "Früher haben wir die Analysen ignoriert, heute fragen wir aktiv danach", berichtete ein Ressortleiter.
Machen Sie den Check: Wie datenfit ist Ihr Medienhaus?
Nehmen Sie sich kurz Zeit und checken Sie anhand dieser Liste, wo Ihr Unternehmen steht:
[__] Unsere Datenstrategie ist kein Geheimpapier, sondern allen Führungskräften bekannt und verständlich
[__] Wir wissen genau, welche Daten wir für welche wichtigen Entscheidungen brauchen
[__] Wenn jemand "Conversion-Rate" sagt, meinen alle dasselbe (wirklich!)
[__] Bei uns gibt's keine Daten-Parallelwelten – wir haben eine gemeinsame Datenbasis
[__] Redaktion und kommerzielle Bereiche tauschen regelmäßig Erkenntnisse aus
[__] Strategische Entscheidungen treffen wir nicht nur aus dem Bauch heraus
[__] Unsere Infrastruktur macht Datenanalyse zum Vergnügen, nicht zum Krampf
Hand aufs Herz: Wie viele Punkte konnten Sie abhaken? Nach meiner Erfahrung schaffen die meisten Medienhäuser 3-4 Punkte. Die Digital-Champions erreichen 7-9.
Fazit: Es geht um Menschen, nicht um Technologie
Nach hunderten Stunden in Konferenzräumen von Medienhäusern bin ich überzeugt: Der Erfolg der digitalen Transformation hängt nicht primär von der Technologie ab, sondern von der Fähigkeit, Daten als gemeinsamen Kompass zu nutzen.
Die Medienunternehmen, die heute erfolgreich sind, haben eines gemeinsam: Sie haben Datensilos überwunden, eine gemeinsame Sprache entwickelt und eine Kultur geschaffen, die datenbasierte Entscheidungen fördert.
Und das Beste: Dieser Wandel ist weniger eine Frage des Budgets als des Mindsets. Ich habe kleine Lokalzeitungen erlebt, die mit begrenzten Mitteln, aber klarem Fokus Erstaunliches erreicht haben. Und ich habe große Medienhäuser gesehen, die trotz Millionenbudgets in Datenparallel-Universen feststeckten.
Mein Rat zum Schluss – aus dem echten Leben, nicht aus dem Lehrbuch: Fangen Sie klein an, aber fangen Sie an. Identifizieren Sie ein konkretes Problem, das mit besserer Datennutzung lösbar wäre. Bilden Sie ein kleines, abteilungsübergreifendes Team. Und geben Sie ihm Raum zum Experimentieren.
Die Reise zur datenbasierten Organisation gleicht mehr einem Marathon als einem Sprint. Aber jeder Schritt zählt – und der erste ist oft der wichtigste.
Dies ist der erste Teil unserer Serie "Datengestützte Zukunft der Medien: Herausforderungen, Lösungen und Erfolgsstrategien". In den kommenden Wochen behandeln wir:
Teil 2: Datenqualität als Grundlage erfolgreicher Digitalisierung
Teil 3: Die Überwindung von Datensilos – technische und organisatorische Ansätze
Teil 4: Datenschutz als Chance – wie Medienunternehmen Vertrauen aufbauen
Teil 5: Von Daten zu Insights – erfolgreiche Analysestrategien für Medienunternehmen
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Wie nutzt Ihr Unternehmen Daten strategisch? Teilen Sie Ihre Erfahrungen gern mit– oder buchen Sie gleich einen Kennenlern-Termin . Ich freue mich auf den Austausch!
Über den Autor: Michael Hauschild berät seit vielen Jahren Medienunternehmen bei der digitalen Transformation. Er ist Co-Founder von The Data Institute
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