Garbage In, Garbage Out

In meinem letzten Beitrag haben wir über die strategische Verankerung von Daten im Medienunternehmen gesprochen. Heute widmen wir uns einem Thema, das mir in meiner täglichen Arbeit mit Verlagen immer wieder begegnet: Datenqualität und -integration. Der folgende Fall aus meiner Beratungspraxis verdeutlicht die Problematik.
"Wir haben alle Daten, aber keine Antworten"
Vor einigen Monaten rief mich der Digitalchef eines mittelgroßen Regionalverlags an. Seine Stimme klang frustriert: "Michael, wir haben seit Jahren in digitale Transformation investiert. Wir haben Analytics-Tools, ein CRM-System, Social Media Monitoring und ein modernes CMS. Trotzdem fällt es uns schwer, auf einfache Fragen klare Antworten zu bekommen."
Die konkrete Frage, die ihn umtrieb: Welche Content-Kategorien führen tatsächlich zu Abonnement-Abschlüssen? Eine vermeintlich simple Frage, deren Beantwortung jedoch scheiterte – nicht wegen fehlender Daten, sondern wegen mangelhafter Datenqualität und -integration.
Die strategische Dimension der Datenqualität
Diese Situation ist typisch für viele Medienhäuser. Sie haben zwar Daten, aber keine qualitativ hochwertigen, integrierten Daten, die als verlässliche Entscheidungsgrundlage dienen können. In Zeiten von KI und Machine Learning gewinnt dieses Problem eine neue Dringlichkeit.
Die alte Programmierer-Weisheit "Garbage In, Garbage Out" bekommt im KI-Zeitalter eine noch größere Bedeutung. Selbst der intelligenteste Algorithmus kann aus fehlerhaften oder unvollständigen Daten keine wertvollen Erkenntnisse gewinnen. Wenn Ihr ChatGPT-Assistent mit unzureichenden redaktionellen Daten gefüttert wird, entstehen bestenfalls mittelmäßige Ergebnisse – im schlimmsten Fall irreführende.
In unseren Projekten sehen wir als Beratungsteam immer wieder, dass Datenqualität und -integration keine technischen Nebenschauplätze sind, sondern geschäftskritische Faktoren:
- Sie bestimmen, wie schnell und fundiert strategische Entscheidungen getroffen werden können
- Sie entscheiden darüber, wie präzise Content und Angebote personalisiert werden können
- Sie bilden die Grundlage für Automatisierungspotenziale in redaktionellen und kommerziellen Prozessen
- Sie sind unverzichtbar für erfolgreiche KI-Anwendungen, von Content-Empfehlungen bis zur Leser-Churn-Prognose
Das Integrationsproblem: Wenn Systeme nicht miteinander sprechen können
Zurück zu unserem Regionalverlag: Bei näherer Untersuchung zeigte sich ein für die Branche typisches Bild. Das Unternehmen nutzte:
- Ein CMS für die Erstellung und Verwaltung redaktioneller Inhalte
- Ein CRM-System für die Verwaltung von Abonnements
- Google Analytics zur Messung der Website-Nutzung
- Ein separates Anzeigenmanagementsystem
- Diverse Tools für Social Media und Newsletter-Marketing
Jedes dieser Systeme war für sich genommen funktional. Das Problem: Sie waren zu unterschiedlichen Zeiten eingeführt worden, von verschiedenen Anbietern und – das ist entscheidend – mit eigenen Datenmodellen und Identifikationsschlüsseln.
Die Integrationsprobleme waren vielfältig:
- Das CMS verwendete Content-IDs, die in keinem Zusammenhang mit den Tracking-Parametern in Analytics standen
- Die Nutzer-IDs im CRM hatten keine Verbindung zu den Cookie-IDs der Webseite
- Manche Systeme lieferten Daten in Echtzeit, andere nur in täglichen Batches
- Bei älteren Systemen fehlten moderne APIs für den automatisierten Datenaustausch
Die Konsequenzen waren gravierend:
Enormer manueller Aufwand: Die zwei Datenanalysten des Verlags verbrachten etwa 70% ihrer Zeit mit dem Sammeln, Bereinigen und Zusammenführen von Daten aus verschiedenen Quellen – Zeit, die für wertschöpfende Analysen fehlte.
Fehlerhafte Analysen: Ein besonders ärgerlicher Fall trat auf, als die Geschäftsführung Entscheidungen auf Basis von Nutzungszahlen traf, die sich später als fehlerhaft herausstellten – weil die Daten aus dem CMS und aus Google Analytics unzureichend abgeglichen waren.
Verzögerte Entscheidungen: Die Entwicklung neuer redaktioneller Formate oder Paywallstrategien verzögerte sich regelmäßig, weil die Zusammenführung und Analyse der erforderlichen Daten zu zeitaufwändig war.
In der schnelllebigen Medienbranche, wo die zeitnahe Reaktion auf Marktveränderungen entscheidend ist, bedeuten solche Verzögerungen einen erheblichen Wettbewerbsnachteil.
Die Lösung: Zentrale Datenspeicher als Fundament der Datenstrategie
Nach einer gründlichen Analyse empfahl unser Team dem Verlag die Implementierung eines zentralen Datenspeichers als Herzstück seiner Datenstrategie. Gemeinsam entschieden wir uns für eine Kombination aus Data Lake und Data Warehouse:
- Der Data Lake dient als Sammelbecken für alle Rohdaten aus den verschiedenen Quellsystemen, unabhängig von Format oder Struktur. Hier werden auch unstrukturierte Daten wie Nutzerkommentare oder Social-Media-Interaktionen gespeichert.
- Das darauf aufbauende Data Warehouse bietet strukturierte, aufbereitete Datensichten für spezifische Anwendungsfälle und regelmäßige Reports.
Die Implementierung erfolgte schrittweise über sechs Monate, beginnend mit der Integration der zwei geschäftskritischsten Systeme: CMS und CRM. Schon dieser erste Schritt ermöglichte es, die ursprüngliche Frage zu beantworten: Welche Content-Kategorien führen zu Abonnement-Abschlüssen?
Die Ergebnisse waren teilweise überraschend: Entgegen der Annahme des Chefredakteurs waren es nicht die aufwändigen Investigativrecherchen, die am stärksten zu Conversions beitrugen, sondern lokale Nutzwertthemen wie "Die besten Schulen der Region" oder "Neue Fahrradwege im Landkreis".

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Die 7 kritischen Dimensionen der Datenqualität und ihre Lösungen
Aus unserer Praxiserfahrung mit Dutzenden von Medienkunden haben wir die zentralen Datenqualitätsprobleme identifiziert und bewährte Lösungsansätze entwickelt. Diese Probleme lassen sich in sieben kritische Dimensionen der Datenqualität einordnen:
Konsistenz: Wenn Systeme widersprüchliche Informationen liefern
Problem: Ein Nutzer existiert in verschiedenen Systemen mit unterschiedlichen Identifikatoren und Attributen. Bei einem Regionalverlag fanden wir Kunden, die im CRM als aktive Abonnenten geführt wurden, während das Paywall-System sie als Nicht-Abonnenten behandelte.
Lösung: Implementieren Sie ein zentrales Identitätsmanagement-System, das als "Single Source of Truth" dient. Eine moderne Customer Data Platform (CDP) kann Nutzeridentitäten über verschiedene Touchpoints hinweg zusammenführen. Bei einem überregionalen Verlag half uns die Einführung eines zentralen ID-Matchings, die Conversion-Rate um 23% zu steigern.
Vollständigkeit: Die Lücken in Ihren Daten finden und schließen
Problem: Unvollständige Daten manifestieren sich in vielen Formen: Artikel ohne ausreichende Metadaten, lückenhafte Customer Journeys oder fehlende Attribute in Nutzerprofilen. Bei einem Fachverlag stellten wir fest, dass bei über 40% der Artikel die Themenkategorisierung fehlte, was die Personalisierung massiv einschränkte.
Lösung: Definieren Sie verbindliche Mindeststandards für verschiedene Datentypen und automatisieren Sie deren Erfassung. Moderne KI-Systeme können beispielsweise automatisch Content taggen und kategorisieren. Implementieren Sie Validierungsregeln, die unvollständige Datensätze entweder abweisen oder markieren.
Genauigkeit: Wenn falsche Daten zu falschen Entscheidungen führen
Problem: Ungenaue oder schlicht falsche Daten führen direkt zu Fehlentscheidungen. Ein Magazin-Publisher traf strategische Entscheidungen auf Basis von Analytics-Daten, die aufgrund fehlerhafter Tracking-Implementierung 30% zu niedrige Nutzungszahlen für die mobile App auswiesen.
Lösung: Etablieren Sie systematische Datenvalidierungsprozesse und Cross-Checks zwischen verschiedenen Systemen. Automatisierte Plausibilitätsprüfungen können viele Fehler frühzeitig erkennen. Bei besonders kritischen Daten empfehlen wir regelmäßige Stichprobenprüfungen durch Experten.
Eindeutigkeit: Das Problem duplizierter Datensätze
Problem: Doppelte Datensätze verzerren Analysen und führen zu falschen Geschäftsentscheidungen. Bei einem Medienhaus fanden wir in der Kundendatenbank über 15% Duplikate, was die Churn-Prognosen erheblich verfälschte – einige Kunden wurden fälschlicherweise als verloren eingestuft, weil sie unter einem anderen Profil aktiv waren.
Lösung: Implementieren Sie robuste Deduplizierungsverfahren, die sowohl exakte als auch fuzzy-matching Techniken nutzen. Moderne MDM-Systeme (Master Data Management) können selbst bei leicht abweichenden Schreibweisen oder unvollständigen Datensätzen Duplikate identifizieren. Wichtig ist auch die Prävention: Schaffen Sie einheitliche Eingabemasken und Validierungsregeln.
Aktualität: Wenn veraltete Daten zu späten Reaktionen führen
Problem: Veraltete Daten sind oft genauso problematisch wie fehlende Daten. Ein Nachrichtenportal erkannte mit zwei Wochen Verzögerung einen signifikanten Einbruch der Nutzerengagement-Raten, weil die Datenaktualisierungsprozesse nur monatlich liefen.
Lösung: Definieren Sie für verschiedene Datentypen angemessene Aktualitätsanforderungen. Kritische KPIs sollten in Echtzeit oder zumindest täglich aktualisiert werden. Implementieren Sie Monitoring-Systeme, die veraltete Datensätze automatisch identifizieren und entsprechende Warnungen auslösen.
Gültigkeit: Wenn Daten nicht den erwarteten Formaten entsprechen
Problem: Ungültige Datenformate oder Werte außerhalb definierter Bereiche können Systeme zum Absturz bringen oder fehlerhafte Berechnungen verursachen. Bei einem Kunden führten falsch formatierte Datumsangaben zu völlig verzerrten Trendanalysen, da das System statt des europäischen das amerikanische Datumsformat erwartete.
Lösung: Implementieren Sie strenge Validierungsregeln an allen Dateneingabepunkten. Nutzen Sie Schema-Validierung für strukturierte Daten und definieren Sie klare Konventionen für Formate und Wertebereiche. Besonders wichtig: Standardisieren Sie kritische Formate wie Datums- und Zeitangaben unternehmensweit.
Data Governance: Der organisatorische Rahmen für Datenqualität
Problem: Ohne klare Verantwortlichkeiten und Prozesse bleibt Datenqualität ein unlösbares Problem. Bei einem großen Medienhaus beobachteten wir, wie dieselben Datenqualitätsprobleme immer wieder auftraten, weil niemand sich verantwortlich fühlte.
Lösung: Etablieren Sie ein Data-Governance-Framework mit klar definierten Rollen wie Data Owner und Data Stewards. Entwickeln Sie verbindliche Richtlinien für die Datenerfassung, -speicherung und -nutzung. Führen Sie regelmäßige Datenqualitäts-Audits durch und machen Sie Datenqualität zu einem gemessenen Leistungsindikator – etwa durch ein Datenqualitäts-Dashboard für die Geschäftsführung.
Implementierungsstrategien: Der pragmatische Weg zur Datenintegration
Die größte Herausforderung bei der Verbesserung von Datenqualität und -integration ist oft nicht die Technologie, sondern der Weg dorthin. Aus unseren gemeinsamen Projekten kann ich vier bewährte Strategien empfehlen:
1. Schrittweise Implementation statt "Big Bang"
Beginnen Sie mit einem begrenzten, aber geschäftskritischen Anwendungsfall. Bei unserem Regionalverlag war dies die Verbindung von Content-Nutzung und Abonnementabschlüssen. Demonstrieren Sie frühe Erfolge und nutzen Sie diese, um weitere Investitionen zu rechtfertigen.
2. Pragmatischer Umgang mit Legacy-Systemen
Die Realität in vielen Medienhäusern: Es gibt Altsysteme, die nicht kurzfristig ersetzt werden können. Statt auf die perfekte Zukunftslösung zu warten, entwickeln Sie Adapter-Lösungen für schwer ersetzbare Systeme und definieren Sie parallel eine klare Migrationsstrategie.
3. Agile Methoden für Datenintegrationsprojekte
Datenintegrationsprojekte sollten iterativ entwickelt werden, mit regelmäßigen Zwischenversionen und enger Einbindung der Fachbereiche. Bei einem Kunden hat unser Beratungsteam wöchentliche "Data Reviews" etabliert, in denen die Fortschritte und nächsten Schritte mit allen Stakeholdern besprochen wurden.
4. Cloud-basierte Lösungen als Einstieg
Besonders für mittelständische Verlage mit begrenzten IT-Ressourcen bieten Cloud-Lösungen einen kostengünstigen und schnellen Einstieg in die Datenintegration. Sie ermöglichen eine schnelle Implementierung ohne umfangreiche Hardware-Investitionen und bieten Zugang zu fortschrittlichen Analyse-Tools.
Fazit: Datenqualität ist eine strategische Investition
Sechs Monate nach der Implementierung des zentralen Datenspeichers konnte unser Regionalverlag beeindruckende Ergebnisse vorweisen:
- Die Zeit für die Erstellung regelmäßiger Reports reduzierte sich um 65%
- Die Conversion-Rate für Digital-Abonnements stieg um 28% durch gezieltere Content-Strategien
- Die Kündigungsrate sank um 15% durch besseres Verständnis von Nutzerverhalten und präventive Maßnahmen
Diese Ergebnisse unterstreichen: Hochwertige, integrierte Daten sind keine technische Spielerei, sondern das Fundament für den Geschäftserfolg im digitalen Zeitalter. Medienhäuser, die in diese Grundlagen investieren, schaffen die Voraussetzungen für:
- Fundierte strategische Entscheidungen auf Basis ganzheitlicher Daten
- Schnellere Reaktionen auf Marktveränderungen und Nutzerverhalten
- Effizientere Prozesse durch Automatisierung und Standardisierung
- Neue datengetriebene Produkte und Geschäftsmodelle
In meinem nächsten Beitrag werden wir darauf eingehen, wie diese hochwertigen, integrierten Daten konkret für ein tieferes Kundenverständnis und eine datengetriebene Produktentwicklung genutzt werden können. Bis dahin freue ich mich auf Ihre Kommentare und Erfahrungen zum Thema Datenqualität!
Michael Hauschild ist Datenexperte und Co-Founder von The Data Institute. Er berät mit seinem Team seit vielen Jahren Medienunternehmen bei der digitalen Transformation. Dieser Artikel basiert auf Erfahrungen aus zahlreichen gemeinsamen Praxisprojekten und einem Kapitel des kommenden Buches "Daten als strategischer Kompass für Medienhäuser".
Photo by Alina Grubnyak on Unsplash
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